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Das Jesaja-Projekt: Eine bedeutungsvolle Begegnung zwischen orthodoxen Rabbinern und christlichen Theologen rund um die Heilige Schrift

Die große Jesaja-Rolle von Qumran, das Buch Jesaja. Bayerisches Bibelmuseum, Nürnberg, Deutschland. (Foto: Shutterstock)

Das niederländische Zentrum für Israel-Studien (Centrum voor Israël Studies) hat vor anderthalb Jahren ein einzigartiges Projekt ins Leben gerufen, bei dem orthodoxe Rabbiner und christliche Theologen gemeinsam über das Buch des Propheten Jesaja schreiben. Mehr als 2.000 niederländische Theologen und Gemeindemitglieder erhalten alle zwei Wochen eine E-Mail mit einer neuen Episode. In diesem Artikel werden weitere Informationen über das Projekt und seinen Hintergrund bereitgestellt.

Das Jesaja-Projekt ist eine Fortsetzung des Engagements des Zentrums für den fortlaufenden Dialog zwischen Juden und Christen zur Interpretation der Bibel. Diese Initiative folgte auf das Parascha-Projekt, bei dem niederländische Christen einen jüdischen Kommentar zur Paraschat HaSchawua erhielten (für Interessierte sind diese Beiträge auf Niederländisch über den angegebenen Link abrufbar).

Das darauffolgende Projekt führte zu einem noch tieferen Dialog, bei dem Rabbiner und Theologen gemeinsam ein Buch aus dem Neuen Testament – das Matthäusevangelium – studierten (die verschiedenen Beiträge sind über den Link abrufbar). Die jüdischen Autoren lieferten wertvolle Einblicke aus der jüdischen Tradition, die neue Perspektiven auf den jüdischen Kontext, in dem Matthäus geschrieben wurde, ermöglichten. Die christlichen Autoren wiederum reagierten darauf mit Einsichten aus ihrer eigenen Tradition.

Für das Jesaja-Projekt wurde vereinbart, über den Propheten Jesaja zu schreiben, da sein Buch im Zentrum des christlichen Verständnisses von Jesus als Erfüllung der Prophezeiungen der Tanach bzw. des Alten Testaments steht. Einige jüdische Autoren zögerten zunächst, da es diesmal um ihre eigenen Heiligen Schriften (und nicht Matthäus) ging, was für sie eine vertiefte Auseinandersetzung erforderte. Doch schließlich entschieden sie sich, weiterzumachen – wofür wir sehr dankbar sind.

Die Einzigartigkeit dieses Projekts kann kaum hoch genug geschätzt werden. Über Jahrhunderte hinweg bestand die Interaktion zwischen Juden und Christen in Bezug auf die Bedeutung biblischer Texte fast ausschließlich aus Streitgesprächen, die zu einer tiefen Trennung zwischen beiden führten. Dies führte auch zu einer theologischen Sichtweise, in der Israel keinen Platz hatte. Nach den Schrecken der Schoah begann in vielen westlichen Kirchen eine neue theologische Reflexion über Israel.

Die römisch-katholische Kirche veröffentlichte 1965 Nostra Aetate, ein Dokument, das die Anschuldigungen gegen die Juden als „Christusmörder“ zurückwies und die Idee verwarf, dass die Kirche Israel ersetzt habe. Dieses und ähnliche Dokumente auf protestantischer Seite ebneten den Weg für eine neue Ära des jüdisch-christlichen Dialogs.

Das Jesaja-Projekt ist ein Ergebnis dieser neuen Ära, in der Rabbiner und christliche Theologen sich in einer bedeutungsvollen Begegnung um eine offene Bibel versammeln können. Ein wesentlicher Aspekt dieses Projekts ist, dass wir voneinander lernen. Als Christ gewinne ich neue Einsichten aus der jüdischen Tradition und werde mir umso mehr bewusst, dass die Tanach (das Alte Testament) zuerst Israel gegeben wurde.

Für meinen jüdischen Schreibpartner bringe ich christliche Perspektiven ein, die ihm manchmal neu sind. Durch diesen Austausch gewinnen wir ein tieferes Verständnis sowohl der Heiligen Schrift als auch unserer selbst. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Dialogs ist, dass er gegenseitig ist – jeder respektiert die Perspektive des anderen.

Auf diese Weise verändert dieser Prozess beide Seiten, indem wir lernen, die Realität auch aus der Sicht des anderen zu betrachten. Über Jahrhunderte hinweg haben wir über unsere Unterschiede gesprochen, die weiterhin bestehen. Doch auf diesem Weg haben wir auch entdeckt, dass wir viel mehr gemeinsam haben, als wir ursprünglich dachten.

Die verschiedenen Beiträge (auf Niederländisch) zum Jesaja-Projekt sind über den angegebenen Link abrufbar.

Geert de Korte arbeitet für das Niederländische Zentrum für Israel-Studien in Israel. Das Zentrum beteiligt sich am jüdisch-christlichen Dialog. Außerdem arbeitet er an einer Doktorarbeit über Ambrosius von Mailand und die Juden.

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