Arabische Christen fliehen aus Israel wegen Krieg, Kriminalität und Rassismus

Im Herzen des Nahen Ostens schrumpfen die christlichen Gemeinden. Die einst weit verbreitete Hoffnung vieler arabischer Christen, dass Israel als demokratischer Staat in der Region Stabilität und Sicherheit bieten könnte, schwindet zunehmend.
Immer mehr Familien denken über Auswanderung nach. Das ist längst kein Gesprächsthema mehr, das nur in Kirchen stattfindet – man hört es auf den Straßen, in den Läden und besonders unter der jüngeren Generation.
„Vermisst du das alte Nazareth?“, wird man gefragt. „Ja“, lautet die Antwort, „ich vermisse die Nähe zwischen Frauen aller Glaubensrichtungen. Heute ist es schwieriger, hier Christ zu sein.“
In Israel gibt es etwa 180.000 arabische Christen, die weniger als 2 % der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die meisten leben in Galiläa oder Haifa. Die Stadt Nazareth hat eine große religiöse Bedeutung. Doch selbst hier ist eine Krise des Glaubens und der Zugehörigkeit zu beobachten. Ältere Generationen klammern sich an ihre tiefen Wurzeln: "Wie kann man das Heilige Land verlassen? Hier haben unsere Großeltern gelebt. Hier hat alles angefangen." Aber für die jüngeren Menschen werden diese Bindungen schwächer.
Viele sehen ihre Zukunft nicht mehr in Nazareth. Einst zogen christliche Familien wegen Wohnungsmangels in nahegelegene Städte wie Haifa, Nof HaGalil oder Afula. Heute dreht sich die Diskussion um Auswanderung – nicht nur unter Juden und Muslimen, sondern zunehmend auch unter Christen. Die USA, Europa und nähere Ziele wie Zypern und Griechenland stehen zur Debatte.
Manche Initiativen fördern sogar gezielt Investitionen in Immobilien im Ausland. Zypern, das als das fünftsicherste Land der Welt gilt, wird zunehmend Ziel arabisch-christlicher Auswanderer aus Israel. Es bilden sich bereits Gemeinschaften, unterstützt von Freunden und Verwandten, die vorausgegangen sind. „Es ist nah, das Wetter ist ähnlich, und die Menschen sind uns kulturell nahe“, sagt ein Mann. Familien tun sich zusammen, um gemeinsam auszuwandern und kleine Gemeinden im Ausland aufzubauen.
Dennoch sind nicht alle bereit zu gehen. „Ich gehöre zur älteren Generation“, sagt ein Mann aus Rimon. „Ich will bleiben. Aber ich bin mir nicht sicher, ob meine Töchter bleiben werden. Sie fragen sich zunehmend, warum wir überhaupt noch hier sind.“ In Nazareth – einer Stadt mit 65.000 Einwohnern, von denen 60 % Muslime sind – nimmt die christliche Auswanderung zu, was Gemeindeleiter beunruhigt.
Für sie ist das mehr als nur ein demografisches Problem – es ist eine Prüfung des Glaubens. Die Kirche, sagen sie, ist mehr als nur ein Ort des Gebets. Sie ist ein soziales Zentrum, ein Zuhause der christlichen Identität im Heiligen Land. Bedürfnisse wie Zugehörigkeit, Sicherheit und Kontinuität hängen daran. 2005 half das lateinische Patriarchat beim Aufbau einer geschlossenen Wohnanlage auf ehemaligem Klosterland – 56 Wohneinheiten für christliche Familien. „Manche nennen sie Ghettos, aber wir nennen sie lieber geschlossene Gemeinschaften – Orte, an denen wir uns sicher fühlen“, erklärt ein Bewohner.
Doch selbst Sicherheit scheint immer weniger greifbar. In Städten wie Shefar’am kommt es zu religiösen Spannungen. Viral gegangene Videos haben zu Vorfällen geführt, bei denen christliche Jugendliche angegriffen wurden. Ein 16-jähriger Junge wurde nur deshalb attackiert, weil er ein Kreuz trug. Während des Osterfestes kam es in der größten katholischen Kirche der Stadt zu einem gewalttätigen Vorfall. Einige christliche Geschäftsinhaber berichten, dass sie unter Druck gesetzt werden, Schutzgeld zu zahlen - sie werden als leichte Ziele angesehen, weil sie erfolgreich sind.
Und es sind nicht nur muslimische Extremisten. Christliche Geistliche und Nonnen in Jerusalem berichten seit Jahren von Angriffen durch jüdische Extremisten. Nur wenige dieser Fälle werden von den Behörden verfolgt. Währenddessen beobachten Christen in Israel die Entwicklungen in Syrien und Ägypten und fragen sich, ob sie als Nächste dran sind. In einer christlichen Stadt in Syrien wurde ein Weihnachtsbaum in Brand gesetzt - ein kleines Ereignis mit großer symbolischer Bedeutung.
„Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen uns und den Christen im gesamten Nahen Osten“, sagt ein Mann. „Wenn sie getötet werden, spüren wir das auch hier. Wir fühlen uns hilflos, weil wir ihnen nicht helfen können. Juden im Ausland unterstützen Juden hier mit Spenden und Freiwilligen. Wir möchten dasselbe für unser Volk tun.“
Pater William Abu Shkrah sieht es als religiöse Berufung, der Auswanderung entgegenzuwirken. „Es gibt immer Spannungen. Aber das ist unser Heimatland – hier wurde Jesus geboren. Wir dürfen nicht ans Weggehen denken. Wir müssen unsere Kinder lehren, zu bleiben und die heiligen Stätten zu bewahren.“
Trotz der Herausforderungen gedeiht die christliche Gemeinschaft in Israel in vielerlei Hinsicht. 87 % der christlichen Schüler machen ihren Schulabschluss. Über 70 % der arbeitsfähigen Christen sind beschäftigt. Die Kriminalitätsrate ist bei Christen deutlich niedriger als bei anderen arabischen und israelischen Gruppen. „Wir sind vielleicht eine Minderheit“, sagt ein Redner, „aber unser Beitrag ist dreimal so groß – sei es im Bildungswesen, in der Medizin oder im zivilen Leben.“
Und doch fühlen sich viele übersehen. „Der Staat übersieht die christliche Gemeinschaft. Wir sind in der Politik und in den staatlichen Institutionen nicht präsent. Es ist schwer, in den öffentlichen Dienst zu kommen. Das ist ein großer Verlust.“
Er erinnert an Persönlichkeiten wie den verstorbenen Richter Salim Joubran oder die Schauspieler Norman Issa, Youssef Abouadi und Youssef Soud – verehrte und angesehene Menschen, die einst in der örtlichen Kirche beteten. „Meine Angst ist“, fügt er hinzu, „wenn sich die jüdische Mehrheit nicht einmal untereinander liebt und füreinander sorgt, wie sollen sie dann uns lieben und für uns sorgen? Wenn das Land sich weiter in eine extremere Richtung bewegt, werden wir hier nicht mehr leben können.“

Die Mitarbeiter von All Israel News sind ein Team von Journalisten in Israel